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Der verurteilte Doping-Dealer Stefan Matschiner im Interview mit t-online.de


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"Doping ist so alt wie der Wettkampf selbst"

Von t-online
Aktualisiert am 16.06.2011Lesedauer: 7 Min.
Stefan Matschiner verhalf auch Radsportlern zu Leistungssteigerungen mit Doping.Vergrößern des BildesStefan Matschiner verhalf auch Radsportlern zu Leistungssteigerungen mit Doping. (Quelle: imago)
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Das Interview führte Felix Grafen

Stefan Matschiner war einst selbst Leistungssportler. Schon als junger Leichtathlet machte er erste Bekanntschaften mit Doping. Nachdem er seine Karriere beendet und den Weg als Manager eingeschlagen hatte, betreute er seine Athleten auch in medizinischen Fragen - Doping war ein Teil davon. Matschiner wurde wegen Blutdopings und Beschaffung von leistungssteigernden Mitteln verurteilt. Über seine Zeit als Doping-Dealer hat der Österreicher ein Buch geschrieben. "Grenzwertig" gibt Einblicke in den Hochleistungssport, die dem Leser, der noch an den sauberen Wettkampf glaubt, die Augen öffnet. Im Interview mit t-online.de spricht Matschiner über Doping als Teil des Geschäfts, eine mögliche Form der Legalisierung und die hohe Risikobereitschaft der Athleten.

t-online.de: Herr Matschiner, Sie haben mehrere Jahre professionell Spitzensportler mit allen möglichen Arten von Doping versorgt. Würden Sie das rückblickend als eine schöne Zeit betrachten?

Stefan Matschiner: Die Zeit als Leistungssportler und anschließend als Manager hatte viele schöne Seiten. Natürlich war das Jet-Set Leben nicht immer so schön, wie es für den Außenstehenden aussieht. Hinter der Fassade Glanz und Glamour sieht die Welt des Hochleistungssports doch etwas anders aus. Das Versorgen der Sportler mit Dopingmittel hat nur einen kleinen Teil meiner Zeit in Anspruch genommen. Stress hat es trotzdem bereitet, weil ich alles immer perfekt machen wollte. Ich muss aber sagen, dass ich in all den Jahren viel gelernt habe - Positives und Negatives. Die Erfahrungen nehme ich in die Zukunft mit.

Hat Sie Ihr Tun persönlich erfüllt?

Natürlich war es ein erhebendes Gefühl, von mir betreute Sportler bei diversen Großveranstaltungen wie Tour de France, Weltmeisterschaften oder Olympischen Spielen auf dem Podest zu sehen. Ich war, in gewisser Weise, stolz auf meinen Beitrag. Dennoch habe ich immer gewusst, dass, wenn ich nicht gewesen wäre, jemand anderes meinen Part übernommen hätte.

Haben Sie sich Gedanken gemacht, dass Sie auffliegen könnten und die Dopingfahnder sprichwörtlich im Nacken gespürt?

Diese Gedanken kommen natürlich hin und wieder auf. Aber wenn man so lange wie ich dabei war, verschwindet dieses Gefühl mit der Zeit. Man wird unvorsichtiger, denkt nicht mehr so viel nach. Da schlummert die eigentliche Gefahr, in der Überheblichkeit ohnehin nie aufzufliegen.

Wenn man die Schilderungen in ihrem Buch liest, wirkt es teilweise fast surreal, weil man eine andere Vorstellung von professionellem Sport hat. Haben Sie das auch so erlebt und sich manchmal gefragt - was mache ich hier eigentlich? Zum Beispiel bei der Winterolympiade in Turin, bei der sie die Nächte durchfeierten und dann Hals über Kopf das Camp verlassen mussten.

Turin habe ich erst zwei Tage nach den Razzien verlassen. Nicht Hals über Kopf, sondern gut überlegt. Das wirklich Wahnsinnige an Turin war, dass ich nach ein paar Tagen und mit zwei Blutbeuteln im Gepäck wieder zurückgekehrt bin.

Kamen die Sportler, die Sie betreuten, auf Sie zu oder haben Sie sie selbst angesprochen?

Ich hatte es niemals nötig Sportler anzusprechen und wollte dies auch nicht. Ich wollte jenen Athleten, die zu mir gekommen sind, eine gewisse Form der Chancengleichheit bieten. Aber wie schon gesagt, der Verkauf von Dopingmittel war nicht das Hauptgeschäft meiner Agentur.

Was ist die Hauptmotivation der Sportler, um zu Doping zu greifen?

Doping ist so alt wie der Wettkampf selbst. Es gibt immer jemanden, der ein bisschen mehr gewinnen will als der andere. Das ist nicht nur im Sport so. Das gibt es auch in unserer Gesellschaft. Freiwillige Motivation ist oft nicht erkennbar. Meiner Meinung nach wollen Athleten, die jahrelanges Training hinter sich haben, den Sprung an die Spitze schaffen. Sie wissen oft, dass dies ohne Hilfe nicht geht.

Kann man das auch mit übertriebenem Ehrgeiz der Sportler beschreiben?

Übertrieben ist relativ. Wenn man einmal im System Hochleistungssport gefangen ist, dann gehört Doping dazu wie das Frühstück. Es wird nun mal „normal“, und es ist eben die Norm. Hinter der Fassade, in diesem Haus zu dem Außenstehende niemals Zutritt haben werden, wird offen über Doping gesprochen. Man tauscht sich aus.

Ist es heutzutage noch möglich, ohne Doping Spitzensport zu betreiben und an der Weltspitze zu sein?

Vielleicht gibt es irgendwo da draußen ein Mega-Talent, dass es an die Spitze schaffen kann ohne zu dopen. Ich will das nicht ausschließen, die Wahrscheinlichkeit beurteile ich aber mit sehr gering. In vielen Sportarten hast du einfach keine Chance ohne Doping auch nur in die Nähe der Weltspitze zu gelangen. Man muss es sagen wie es ist.

Die Anti-Doping-Verbände und alle Funktionäre sowie bisher dopingfreie Sportler fordern immer wieder den sauberen Sport. Ist diese Vorstellung Ihrer Ansicht nach überhaupt umsetzbar?

Wie schon erwähnt, beide Extreme sind unrealistisch. Am unrealistischsten aber ist der saubere Sport. Marketingtechnisch ist es allerdings durchaus legitim diese Forderung zu stellen. Wenn die Damen und Herren nicht ganz dumm sind, dann wissen sie aber, dass es Blödsinn ist.

Was wäre Ihre Idee für eine gewisse Legalisierung von Doping im Sport?

Doping ist im Hochleistungssport aus meiner Sicht eine Form der Unterstützung. Diese Form der Belastung ist per se ungesund und eine geringe Unterstützung kann sogar helfen, den Sport etwas verträglicher zu machen. Ich bin mir bewusst, dass dies nur ein Anstoß zur Diskussion sein kann. Beide Extreme – Freigabe zum einen und sauberer Sport zum anderen – sind nicht realistisch. "Doping light" unter medizinisch kontrollierten Bedingungen könnte ein möglicher Weg sein. Es stellt sich jedoch immer noch die Frage der Vorbildwirkung für die Jugend. Wir stecken hier in einem Dilemma und ich kann die Frage nach dem Ausweg nicht beantworten.

Denken Sie, man könnte den Sponsoren, Medien und Fans einen gedopten Sport verkaufen und zumuten?

Man mutet es ihnen doch schon seit Jahrzehnten zu. Die Heuchelei sollte mal aufhören, dann könnte man sich überlegen, wie man es verkauft. In den USA geht es ja auch. Wenn ich mir heute einen Boxkampf ansehe, weiß ich auch genau, was ich bekomme. Warum sollte das zum Beispiel im Fußball nicht auch funktionieren?

Wie beurteilen sie die Arbeit der Doping-Jäger?

Durchwachsen. Für mich hat die ganze World Anti-Doping Agency (WADA) mittlerweile einen riesigen Wasserkopf, der Unmengen an Geld sinnlos verschwendet. Es gäbe durchaus brauchbarere Ansätze, wie man Steuergelder sinnvoller einsetzen könnte. Natürlich hat die WADA eine Daseinsberechtigung, aber meiner Meinung nach sollte mehr geforscht werden und viel mehr in die Aufklärung und Prävention gesteckt werden.

Ist professionelles Doping überhaupt nachzuweisen?

Nein, ist es nicht. Modernes Doping ist zum einen schwer nachweisbar, weil mit Dosierungen gearbeitet wird, die nicht nachweisbar sind. Zum anderen gibt es eine breite Palette an Substanzen, die den Labors nicht bekannt sind und somit auch nicht nachgewiesen werden können. Vor allem Designer-Substanzen lassen mich an einem dopingfreien Sport zweifeln.

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Wer hat Ihrer Meinung nach das größte Interesse an Doping? Verbände, Sportler oder der Doping-Dealer?

Der Doping-Dealer sicher nicht. In meinem Fall generierte ich keine 10% meines Jahreseinkommens direkt aus der Weitergabe von Dopingsubstanzen. Für mich hatte die Umwegrentabilität großes Gewicht, weil ich erfolgreiche Sportler besser vermarkten konnte. Natürlich haben Politik, Wirtschaft, Verbände und auch Medien Interesse sich mit Sportidolen zu zeigen und über diese zu berichten. Auch der Sportler profitiert davon. Summa summarum muss man ehrlich sagen, dass es im System keinen Verlierer gibt. Der Sportler trägt allein das gesundheitliche Risiko, wenn er es übertreibt.

Wer ist wirklich das „schwarze Schaf“ im Sport?

Hinter der bereits angesprochenen Fassade, die für den Konsumenten sichtbar ist, verbirgt sich die ganze Herde. Dazu gehören nicht nur die Sportler, sondern auch alle anderen Akteure wie Trainer, Ärzte, Funktionäre, usw., die Bescheid wissen. Die Herde ist an sich schwarz, mit wenigen Ausnahmen.

Was halten Sie von neuartigen Dopingformen wie dem Gendoping? Sind Athleten bereit, für Ruhm und Erfolg mit ihrem Leben zu spielen?

Studien belegen seit langem, dass Sportler bereit sind einige Jahre ihres Lebens zu opfern, wenn dafür eine olympische Goldmedaille garantiert wird. Die Risikobereitschaft ist generell sehr hoch, jeder denkt sich, dass das „schon nicht so schlimm sein wird“. Genau hier liegt die Verantwortung der Ärzte und auch der Betreuer, wie ich es war. Zu Gendoping kann ich nur sagen, dass das vielleicht die Zukunft ist. Konkret ist mir zur Zeit nichts bekannt, dass der Definition von Gendoping entspricht.

Waren Sie erleichtert, als Sie aufflogen und Ihr Doppelleben vorbei war?

In gewisser Weise, ja. Es war mir schon klar, dass mein Tun und Handeln mehr als Grenzwertig war. Wahrscheinlich hätte ich aber so weiter gemacht, weil ich irgendwie gefangen war in meiner Rolle. Aus heutiger Sicht bin ich froh, weil sich andere Türen aufgemacht haben. Ich verdiene heute wesentlich mehr mit einem ehrlichen Job und habe nebenbei doppelt so viel Zeit für mein Privatleben.

Lisa Hütthaler, die mit einem umfassenden Geständnis mit dafür verantwortlich war, dass Sie aufflogen, hat in einem Interview mit dem "Spiegel" im Jahre 2009 gesagt, dass sie nach dem Auffliegen erstmal „körperlich und psychisch komplett kaputt“ war. Wie beurteilen Sie die Spätfolgen von Doping?

Kaputt ja, aber sicher nicht wegen Doping an sich, sondern wegen der nervlichen Belastung der sie sich selbst ausgesetzt hat. Sie war ja nicht der erste positive Athlet auf dieser Welt. Und es hätte andere Wege gegeben, alles etwas ruhiger anzugehen. Mit ihrem dummen Bestechungsversuch (Hütthaler soll versucht haben, eine Laborantin vor Öffnung der B-Probe mit 50.000 Euro zu bestechen, um eine Manipulation der Probe zu bewirken. Die Red.) hat sie sich natürlich in eine äußerst unangenehme Lage gebracht. Grundsätzlich muss gesagt werden, dass das Doping von heute nicht mehr mit jenem der 80er und 90er Jahre verglichen werden kann. Die Spätfolgen des DDR-Dopings sind schlimm und wie damals gedopt oder besser gesagt auf dieser Ebene geforscht wurde ist ebenfalls scharf zu verurteilen. Heute wird mit sehr geringen Dosierungen in wenigen Wochen des Jahres gezielt gearbeitet. Wenn wirklich professionell betrieben, stellt Doping heute ein zu vernachlässigendes gesundheitliches Risiko dar.

Hütthaler sprach von der Dopingszene als „krankes System“. Was denken Sie heutzutage mit einigem Abstand darüber?

Die Dopingszene ist ein Teil des Hochleistungssportes, der nicht isoliert betrachtet werden kann. Der Hochleistungssport an sich ist eine Ansammlung von Wahnsinnigen, die sich in einem kranken System bewegen. Doch es ist zu beachten, dass uns diese Wahnsinnigen in ihrem System Woche für Woche eine Show bieten, die Millionen vor den Bildschirmen oder in Stadien verfolgen.

Können Sie sich vorstellen nochmals in irgendeiner Funktion im Sport aufzutauchen?

Maximal als Sponsor eines lokalen Vereins in der Nähe meiner Heimat, wo ich weiß, dass meine Kinder gut aufgehoben sind, eine gute motorische Grundausbildung erhalten und das Thema Hochleistungssport nicht an der Tagesordnung steht.

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