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Gendoping: Perikles Simon spricht über den Einsatz und die Gefahren


Doping
"Die Sportler nehmen in Kauf, nicht so lange zu leben"

Von t-online
Aktualisiert am 02.03.2010Lesedauer: 8 Min.
Perikles Simon forscht an einem Nachweis zur Feststellung von Gendoping.Vergrößern des BildesPerikles Simon forscht an einem Nachweis zur Feststellung von Gendoping. (Quelle: dpa)
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Das Interview führte Johann Schicklinski

Ist Gendoping das Doping-Mittel der Zukunft? Das Zeitalter der genetischen Optimierung der sportlichen Leistungsfähigkeit ist kurz vor den Olympischen Winterspielen in Vancouver wohl schon erreicht. Der Versuch, eine Leistungssteigerung durch Manipulation des Erbguts zu erreichen, ist keine Zukunftsmusik mehr. Gezielte Veränderungen in den Genen werden nicht nur genutzt, um Krankheiten zu therapieren, sondern längst auch um die körperliche Leistungsfähigkeit zu optimieren.

Der Mainzer Gendoping-Experte Prof. Dr. Dr. Perikles Simon spricht im Interview mit www.t-online.de über den Einsatz und die Gefahren der neuartigen Manipulationsmöglichkeit, über geklonte Super-Athleten und über die Chancen, einen Nachweis für Gendoping zu entwickeln.

"Steuerung der EPO-Produktion möglich"

t-online.de: Herr Simon, wie sollte Ihrer Meinung nach eine Definition von Gendoping lauten, die für jeden verständlich ist?

Perikels Simon: Gendoping bedeutet, dass DNA, also Erbsubstanz, dem Körper von außen zugefügt wird. Es kann aber auch einfach eine Modifikation des vorhandenen Erbguts durch einen Eingriff bedeuten, auch das subsummiert man unter dem Begriff Gendoping.

Können Sie ein Beispiel aus dem Sport nennen?

Ein Sportler kann sich beispielsweise EPO-Erbsubstanz zuführen, welche die EPO-Produktion über das Normalmaß steigert, zusätzlich zu der Erbsubstanz, die das Hormon ohnehin produziert. Die neu eingeführte DNA könnte der Sportler sogar dauerhaft aktivieren, so dass er ständig, egal unter welchen Bedingungen, EPO produziert.

Kann man diese Produktion steuern?

Ja, hierzu gibt es verschiedene Möglichkeiten. Der Sportler könnte dafür sorgen, dass EPO nur gebildet wird, wenn er vorher ein bestimmtes Medikament einnimmt. Das funktioniert dann wie wenn er einen Schalter betätigt. So hat er sozusagen eine Steuerung des Gendopings.

Klingt ja einfach: Hormonproduktion auf Befehl!

Momentan sind die Steuerungsmöglichkeiten noch schlecht, und auch die Studien dazu sind noch nicht ausreichend auf die Übertragbarkeit auf den Menschen hin überprüft. Im Rahmen der Gentherapie bei Kranken wird auch über die Steuerungsmöglichkeiten geforscht, da gibt es allerdings viel, was wir noch nicht wissen. Die meisten Rückschlüsse stammen noch aus Tierversuchen.

"Man kann die Manipulation der Erbsubstanz noch nicht nachweisen"

In welchen Sportarten macht Gendoping am meisten Sinn? Im Ausdauersport?

Ich sehe das gar nicht mal so sehr auf den Ausdauersport bezogen, sondern vor allem im Schnellkraftsport oder in Sportarten, in denen eine Muskelhypertrophie, also ein Wachstum über das Normalmaß hinaus erreicht werden soll. Das gilt zum Beispiel für das professionelle Bodybuilding. Im Ausdauerbereich stehen momentan sicher die konventionellen Dopingmittel im Vordergrund, um der Leistungsfähigkeit auf die Sprünge zu helfen.

Stichwort konventionelle Dopingmittel. Worin besteht denn nun der Vorteil des Gendopings gegenüber den bisher gebräuchlichen Methoden?

Das kann man so noch gar nicht sagen. Der größte Vorteil des Gendoping ist, dass man die Manipulation der Erbsubstanz noch nicht nachweisen kann. Ein wichtiger Unterschied ist auch, dass ein Gendoper vielfach höhere Risiken eingeht als bei einer bisher gebräuchlichen Methode.

Warum sollten dann Sportler im Moment zu Gendoping greifen?

Ein Athlet wird diese Methode erst wählen, wenn ihm anderen Möglichkeiten versagt sind, sei es aufgrund von Nachweiskontrollen oder auch aus anderen Gründen.

Rückwirkende Überprüfung der Dopingproben in ein paar Jahren

Sie haben die Kontrollverfahren angesprochen. Wie kann man Gendoping überprüfen? Sie arbeiten ja auch an einem Testverfahren zur Nachweisbarkeit im Blut.

Wir arbeiten daran, der Test ist allerdings nicht praxisreif. Aber Doping Proben werden ja auch aufgehoben und können in Zukunft rückwirkend analysiert werden. Wir müssen hier ein paar Jahre – was ich für eine realistische Dimension halte – weiterdenken. Dann kann man wohl von einer Praxisreife des Tests ausgehen und die Proben erneut analysieren.

Nach dem aktuellen Stand der Wissenschaft ist Gendoping derzeit nicht nachweisbar. Ist das nicht ein Dilemma?

Ich glaube nicht, dass wir diesen Test so schnell brauchen, weil wir einen ganz eigenen Bereich des Dopings abdecken. Das Horrorszenario des genmutierten, weil gendopenden, Athleten, sehe ich noch nicht.

"Eingriff würde nur beim Embryo leichter werden"

Wird es irgendwann den "geklonten Super-Athleten“ geben, der von kleinauf optimiert ist?

Eine Manipulation würde nur beim Embryo leichter werden, im Mehrzellstadium im Mutterleib und kurz danach. Da wäre ein Eingriff möglich, da der Mensch da noch kein entwickeltes Immunsystem besitzt. In dieser Phase könnte man fremdes Erbgut einschleusen, ohne dass es zu den Abstoßungsreaktionen des Körpers kommen würde, die in einer späteren Phase der Entwicklung folgen.

Klingt nach Frankenstein. Denken Sie, dass an solchen Eingriffen bereits geforscht wird?

Ich kann mir nicht vorstellen, dass das zum Betrug eingesetzt wird, außer es würde sich um Staatsmaßnahmen handeln. Ein Land müsste also sagen: Wir wollen diese Technologie voranbringen und machen mit diesen Menschen alles. Dazu bräuchte man aber sehr hohes Know-how.

Gibt es einen indirekten Nachweis? Kann man Gendoping z.B. anhand von erhöhten Werten feststellen?

Wir haben es im Spitzensport mit Extrem-Talenten zu tun, die ohnehin schon genetische Besonderheiten gegenüber der Normalbevölkerung aufweisen. So gab es eine finnische Familie, die durchgängig einen Hämatokrit-Wert von bis zu 60 hatte, durch eine angeborene und vererbte Veränderung des EPO-Rezeptors im Körper. Die waren im Langlauf-Sport verankert und räumten die Medaillen bei internationalen Wettkämpfen reihenweise ab. Gäbe es einen indirekten Dopingnachweis aufgrund erhöhter Werte, wären die durch das Raster gefallen. Ich stehe deshalb einem indirekten Nachweis von Gendoping kritisch gegenüber.

"Springstein hat für Gendopingmittel angefragt"

Über welchen Zeitraum muss man Gendoping anwenden, um sichtbare Erfolge zu produzieren?

Versuche an Affen haben gezeigt, dass bereits eine Spritze gereicht hat, um über zehn Jahre hinweg durch Eingabe eines Medikaments die EPO-Produktion anzuregen. Die Wirkung kann also unmittelbar sein und lässt sich durch ein Medikament ein- und ausschalten. Das sind allerdings sehr ausgereifte Verfahren. Ich frage mich, ob und wie Sportler an solche Viren kommen wollen, um so etwas zu bewerkstelligen.

Sind Ihnen Versuche bekannt, in denen Sportler oder ihre Betreuer versucht haben, an solche Viren zu gelangen?

Aktenkundig ist beispielsweise Thomas Springstein, der frühere Trainer von Katrin Krabbe und Grit Breuer. Der hat angefragt, ob er nicht das Gendopingmittel Repoxygen bekommen kann, ein Virus, das das EPO-Gen trägt, welches nur unter Sauerstoffmangel aktiviert wird. Damit wird die Produktion im Körper nur dann angeregt, wenn Sauerstoffmangel herrscht, also wenn auch Bedarf an EPO und verbesserter Blutzufuhr vorhanden ist.

Was können dopende Athleten machen, um die Nachweisbarkeit zu verschleiern bzw. produzierte Stoffe rasch wieder abzubauen? Zum Beispiel direkt nach dem Wettkampf?

Die genetische Manipulation wird demjenigen erhalten bleiben, da man diese nicht auf einen bestimmten Teil des Körpers einschränken kann. Im Sport wird das ganze wohl so ablaufen: Der Sportler wird sich eine Spritze mit Viren geben, welche Veränderungen bewirken. Diese sind allerdings über den ganzen Körper verstreut, auch wenn die stärksten Veränderungen an der Stelle auftreten, wo die Spritze gesetzt wurde. Diese Veränderungen sind nicht mehr ohne weiteres zu beseitigen, der Sportler kann nur hoffen, dass der Körper sich selbst dagegen wehrt und diese abbaut.

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"Es gibt eine Vielzahl an Risiken, die wir noch nicht mal kennen"

Geben Sportler, die Gen-Doping angewendet haben, ihr verändertes Erbgut an ihre Nachkommen weiter?

Das ist ein strittiger Punkt. Wenn jemand sich im Rahmen einer klinischen Studie einem Gentransfer unterzieht, geht die Wahrscheinlichkeit gegen Null, dass er die veränderten Gene weitergibt. Ein Restrisiko bleibt immer, wenn aber auch gering. Wenn ein Sportler allerdings ohne richtige Kontrolle und genaue Prüfung Gendoping anwendet, sind die Risiken wesentlich höher. Aus den Anfängen der Gentherapie ist bekannt, dass bei Patienten, die verstarben, die Hoden und auch die Keimbahnzellen, die für die Reproduktion entscheidend sind, durch das eingebrachte Erbgut zu einem geringen Prozentsatz verändert waren. Man kann aber ohnehin sagen: Wer sich an einem Gentransfer mit schlechtem technische Know-how heranwagt, der muss davon ausgehen, dass die Nebenwirkungen so stark sind, dass er unter Umständen nicht mehr lange zu leben hat. Die Frage der Reproduktion spielt für solche Athleten wohl eher keine Rolle.

Was können solche Nebenwirkungen sein?

Eine starke Immunantwort des Körpers, die sich nicht nur gegen das eingebrachte Erbgut richtet. Es kann Krebs entstehen. Es gibt eine Vielzahl an Risiken, die wir vielleicht noch nicht mal alle kennen.

Sind die Sportler lebensmüde oder sind ihnen die Nachwirkungen einfach egal?

Ich befürchte, dass bei Doping generell die Sportler viel zu wenig über Risiken und Nebenwirkungen aufgeklärt sind. Vor allem nicht rechtzeitig. In der DDR gab es für die Sportler zum Beispiel häufig keine Wahl. Oder in der BRD der Fall Birgit Dressel (eine deutsche Siebenkämpferin, die 1987 im Alter von 27 Jahren verstarb, die Red.). Ich kann mir nicht vorstellen, dass ein Nicht-Mediziner über die Nebenwirkungen der ganzen Medikamente Bescheid wissen kann, welche diese Frau im Blut gehabt hat. Das ist selbst für Mediziner, Pharmakologen und Toxikologen schwierig. Viele Sportler wollen aber auch den Sieg oder die Ehre und nehmen dafür in Kauf, nicht so lange zu leben. Es gibt eine Studie von Prof. Thiel aus Tübingen, dass 1/3 von befragten Sportlern für Olympia-Gold einen wesentlich früheren Tod in Kauf nehmen würden.

"Spezialisten bekommen hunderte von Anfragen aus dem Sportbereich"

Werden in Vancouver bereits genmanipulierte Sportler an den Start gehen?

Ich glaube nicht, dass wir im absoluten Spitzensportbereich bereits gendopende Athleten haben. Und zwar nicht wegen der Risiken. Sondern deshalb, weil Gendoping noch nicht hinreichend erforscht und somit auch leistungsmindern sein könnte. Das ist es, was Spitzensportler wirklich fürchten: schlechter werden, im Wettkampf nicht so gut abzuschneiden. Es wird wohl erst auf unterem Niveau ausprobiert, um dann irgendwann vom Spitzenbereich übernommen zu werden.

In welchen Ländern vermuten Sie Sportfunktionäre, die Manipulationen vorantreiben?

Die weltweiten Spezialisten auf dem Gebiet der Genforschung bekommen hunderte von Anfragen aus dem Sportbereich nach Gendopingpräparaten. Das ist erschreckend. Irgendjemand muss das Zeug dann ja nehmen wollen und dazu bereit sein. Es werden teilweise Unsummen dafür geboten. Meine Meinung ist deshalb: Es wird irgendwo gemacht. Im Bodybuilding-Bereich beispielsweise hat es bestimmt schon Einzug gehalten.

Was macht die Welt-Anti-Doping-Agentur (WADA) für den Kampf gegen das Doping?

Die WADA treibt das stark voran, allerdings im Rahmen ihrer finanziellen Mittel, die sehr beschränkt sind. Das weltweite Budget der WADA für Anti-Doping-Forschung liegt bei 6.000.000 Dollar. Das ist das Budget eines sehr guten Forschers, in einem Uni-Klinikum, wenn er alleine forscht. Das ist nicht mehr als ein Tropfen auf dem heißen Stein. Das Gesamtbudget der WADA ist mit 20 bis 30 Millionen Dollar auch zu gering. Die Tests müssen bezahlt werden, die Infrastruktur, die Flüge der Kontrolleure und so weiter. Die Möglichkeiten sind einfach beschränkt, insofern kann man auch an diese Stellen keine allzu hohen Erwartungen richten.

Sind 6 Millionen Dollar im Jahr nicht viel zu wenig?

Durchaus. Das verdient ein sehr guter Fußballspieler im Jahr. Oder wenn man sieht, welche Unsummen für Übertragungsrechte gezahlt werden. Dann sind das einfach absolut lächerliche Beträge, die momentan für die Bestrebungen ausgegeben werden, den Sport sauber zu halten. Es ist einfach eine absolute Unverhältnismäßigkeit der Mittel. Wir werden deshalb diesen Kampf auf Dauer so nicht führen können.

"Die Athleten sind die Geschädigten, die Verfolgten und die, für die sich keiner interessiert"

Wie könnte sich denn der Status Quo ändern?
Die einzigen, die bestrebt sein müssten, etwas zu ändern, sind die Athleten. Sie riskieren ihre Gesundheit, können ihren Sport nicht so ausüben, wie sie gerne wollen. Die Sportler kriegen auch mit, wenn in ihrem Umfeld unsauber gearbeitet wird. Allerdings haben diese Sportler in der Regel keine Möglichkeit, sich zu artikulieren. Wenn sie sagen würden "Ich bin für schärfere Kontrollen“ oder "Überprüft mal den, ich weiß, das der dopt“, das wäre für jeden Sportler tödlich. Das würde ihn in seiner Karriere behindern, er selber würde vielleicht belastet werden, er würde unter Verdacht geraten man würde vielleicht versuchen, ihm mit unlauteren Mitteln ein Bein zu stellen. Die Athleten sind in dieser Situation die Geschädigten, die Verfolgten und die, für die sich keiner interessiert.

Was wäre denn der Ausweg aus diesem Dilemma?

Die Athleten müssten sich solidarisieren und organisieren, müssten auch Geld dafür aufwenden, dass der Sport sauber betrieben werden kann.

Ist das realistisch?

Bisher nicht. Ich frage mich auch, ob die Sportler das überhaupt irgendwann machen wollen und können. Es wäre wirklich nur durch eine konzertierte Aktion aller Athleten möglich. Hierzu müsste die Dunkelziffer der Dopingfälle im Spitzensport möglichst offengelegt werden.

Zeit für ein Fazit: Ist Gendoping Mythos oder Realität?

Realität für Extrembereiche im Sport. Mythos ist für mich die Bedeutung des Gendopings, wie stark diese Manipulation wirken soll. Ich denke beispielsweise nicht, dass Gendoping erfolgreicher sein kann als beispielsweise Testosteron.

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